Mit Essen spielt man

Man stelle sich einen Kindergeburtstag vor mit einem reich gedeckten Tisch: mit Krümel Keks Freunden in Schweinchenform, einer Benjamin Blümchen Torte und diversen anderen Leckereien, die die kleinen Gäste vergnügt verschlingen. Beim Kinderessen geht es nicht nur um die reine Nahrung, sondern es werden gesellschaftliche Vorstellungen von einer erfüllten Kindheit repräsentiert. Eine glückliche Kindheit wird verbunden mit: Sorgenfreiheit, Spaß, Freundschaft und Unbeschwertheit. Und welche Eltern wollen ihren Kindern das nicht ermöglichen? 

von Kim Justin Evers, Julia Fischer, Sarah de Haan und Louisa Knappertsbusch

28. August 2025

Kommunikation in Institutionen und Organisationen

Link: https://www.wireltern.ch/artikel/mit-kindern-im-restaurant-essen-0919

Im Gegensatz zu der Aussage „Mit Essen spielt man nicht!” stehen unzählige Produkte, die förmlich aufrufen genau das zu tun. Ob es um Bärchenwurst oder tierförmige Kekse geht, Kinder brauchen Lebensmittelherstellern zufolge einen Anreiz, um bestimmte Lebensmittel essen zu wollen. Der Mythos, dass Kinderessen bunt, lustig oder tierförmig aussehen muss, steht im Gegensatz zu dem Essen für Erwachsene, mit seinen verschiedenen Verpackungen und Formen.

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Maskottchen

Auch wie das Essen vermarktet wird, ist anders und auf das spielerische Leben von Kindern angepasst. Ein gutes Beispiel sind die Cini-Minis-Maskottchen, anthropomorphisierte Cerealien, die in der Werbewelt buchstäblich Kannibalismus betreiben. Diese kleinen Figuren konsumieren einander in einem Rausch des Genusses – eine Darstellung, die auf den ersten Blick grotesk erscheint, jedoch von grundlegender mythischer Bedeutung ist. Die Botschaft wird klar: Zimtcerealien sind so unwiderstehlich, dass selbst ihresgleichen nicht widerstehen kann. Die kindliche Zielgruppe wird hier von einer Welt angesprochen, in der Genuss das finale Ziel ist. Für die Eltern hingegen symbolisiert das fröhliche Maskottchen die Sicherheit eines Produkts, das Kindern „schmeckt“ und sie glücklich macht. Die Komplexität der Darstellung, Glück, Verniedlichung und die „Sucht“ der Figuren, verschleiert die industrielle Realität hinter dem Produkt. Durch das Maskottchen wird das Essen zum Spiel, das Produkt zum Versprechen, und der Konsum zum Ritual der familiären Harmonie.

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Himmel und Ääd macht Kinder froh – und Erwachsene ebenso

Neben industriell gefertigten in Plastik verpackten quietschbunten Süßigkeiten und Snacks, komplettiert die Hausmannskost die Kinderernährung. Es werden Gerichte der lokalen Küche zubereitet, die über Generationen hinweg tradiert sind. Beispielhaft hierfür ist das Gericht Himmel und Ääd, welches nicht nur Kindern, sondern auch den Erwachsenen schmeckt. Mit der einfachen Zubereitung von einfachen Lebensmitteln wie Kartoffeln (die Erde) und Apfelmus (der Himmel), wird nicht nur die Tradition, sondern auch die familiäre Wärme spürbar. Besonders wenn man von einem kalten Schultag nach Hause kommt und etwas Warmes zuhause erwartet wird. Dieses Gericht steht für das Ideal der natürlichen und behüteten Kindheit sowie der Unschuld.

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Kleine Restaurantgäste

Nicht immer wird die feierliche Familienmahlzeit zu Hause eingenommen. Zu besonderen Anlässen, werden Restaurants aufgesucht. Im Deutschland der 2020er Jahre sind Kinder in Restaurants willkommen. Ihnen ist sogar eine ganze Rubrik am Ende der Speisekarte gewidmet: der Kinderteil. Für die kleinen Gäste gibt es kleine Portionen, kleine Auswahl und kleine Preise. Kinder werden in Restaurants simultan ein- und ausgeschlossen. Simultan wird ihre Alterität und ihre Zugehörigkeit konstruiert: Das Kind sitzt mit am Tisch, je nach Größe benötigt es aber einen besonderen Stuhl. Das Kind kann sich genauso wie alle ein Gericht aussuchen, die Auswahl ist jedoch eine andere. Kinder sind im Restaurant nur so lange willkommen, wie sie stillsitzen. Das Kind repräsentiert seine Eltern. Quengelt, nörgelt und kleckert es, so zieht die Familie böse Blicke auf sich. Das Kind ist lediglich ein kleiner Gast, vielleicht auch nur ein halber Gast oder gar ein Anhängsel des eigentlichen Gastes. Das wohlerzogene Kind, dass sich am Tisch zu benehmen weiß, wertet die Familie in der Öffentlichkeit auf. Im Restaurant wirkt der Mythos des Kindes als kleiner Erwachsener.

Es lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Kost ein Gebiet der Kultur ist, in dem sich das mythisierte Bild von Kindheit des 21. Jahrhunderts manifestiert und aktualisiert. Die Kindheit gilt als Lebensphase des Wachsens, Lernens und Spielens. Gute Eltern versorgen ihre Schützlinge mit allem Nötigen. Dazu gehören Lebensmittel mit ihren bunten und lustigen Verpackungen, diese befriedigen das kindliche Bedürfnis nach Spiel und verhüllen simultan die schädlichen Inhaltstoffe wie Zucker und Zusatzstoffe. Lebensmittel für Kinder versprechen, den jungen Körper im Heranwachsen mit allen richtigen Nährstoffen zu versorgen. Das elterliche Gewissen wird beruhigt. Der Restaurantbesuch gilt der Performance der perfekten Familie, wobei das kindliche Verhalten zum Zeugnis der Eltern wird.

 

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