„EDU goes vegan“ – aber würde jeder mitgehen?

Der Themenbereich Ernährung stellt in unserer heutigen Gesellschaft ein zentrales, diskursiv ausgiebig erörtertes Thema dar. Die Entscheidung über die eigene Ernährung ist dabei von sozialen Faktoren, wie Erziehung, Weltanschauung, Traditionen oder ethisch-moralischen Normen einer Gesellschaft geprägt, aber auch von Aspekten wie der geografischen Situation, der eigenen Identität oder einer gewissen kulturellen Prägung (vgl. Godemann 2021, S. 48). So lässt sich definitiv sagen, dass eines jeden Ernährung sehr individuell aufgebaut ist. Mittlerweile lassen sich sogar eine Vielzahl verschiedene Gruppen in unserer Gesellschaft vorfinden, welche sich alle anhand eines spezifischen Speiseplans voneinander differenzieren lassen. Egal ob Carnivore, Vegetarier, Pescetarier, Frutarier oder Veganer – sie alle leben nach gewissen Überzeugungen, Lebensweisen und Vorlieben und sehen ihre Ernährung sowohl als Teil ihrer eigenen als auch einer kollektiven Identität an (vgl. Grünewald 2020, S. 23 ff.).

von Yannick Renner

28. Juli 2024

Multimodale Kommunikation, Soziale Interaktion & Technologie

Vor allem im Zusammenspiel zwischen den beiden Extrempolen des Veganismus und eines ausgeprägten Fleischkonsums existieren zahlreiche Abgrenzungen, Diskussionspunkte und somit auch Vorurteile auf Basis der vielen Verschiedenheiten, die deren Ernährung zugrunde liegen. Es wirft sich die Frage auf, inwiefern diese Verschiedenheiten vor allem bei Menschen mit einem ausgeprägten Fleischkonsum eine Einschränkung darstellen, offen gegenüber einem veganen Lebensstil eingestellt zu sein.

Dies probierte ich in meiner Hausarbeit durch das Messen von psychologischer Reaktanz zu beantworten: einer Motivationstheorie, die beschreibt, wie Personen auf eine empfundene Einengung ihrer Freiheitsspielräume reagieren.“ (Raab 2016, S. 73) Sie besitzt vier grundlegende Komponenten: Eine Freiheit, die Bedrohung jener Freiheit, das Empfinden von Reaktanz und die Wiederherstellung der Freiheit (vgl. Dillard 2005, S. 145). Eine Freiheit beschreibt grundlegend eine Handlung, Emotion oder Haltung, über dessen Möglichkeit der freien Ausübung sich ein Individuum bewusst ist. Wird die Möglichkeit der Ausübung dieser Freiheit nun durch äußere Einflüsse erschwert bzw. eingeschränkt, wird von einer Bedrohung jener Freiheit gesprochen. Das Individuum, dessen Freiheit eingeschränkt wird, zeigt nun die Motivation, mit allen Mitteln die freie Ausübung der bedrohten Handlung wiederherzustellen. Diese Motivation wird als Reaktanz deklariert (vgl. Dillard 2005, S. 145-146).

Daten

Die Grundlage für die Untersuchung der Forschungsfrage liefern insgesamt drei Leitfadeninterviews, welche im Abstand von wenigen Tagen mit drei verschiedenen Testpersonen geführt wurden. Versuchsperson A ist Veganerin, was bedeutet, dass sie keinerlei tierische Produkte zu sich nimmt. Versuchsperson B ernährt sich flexitarisch, was bedeutet, dass er sich zwar weitgehend fleischlos ernährt, jedoch unregelmäßig bzw. zu gewissen Anlässen Fleisch verzehrt. Versuchsperson C beschreibt sich als Person mit einem sehr stark ausgeprägten Fleischkonsum. Als zentraler Bestandteil des Interviews wird mithilfe eines editierten Instagram-Beitrags eine Realsituation simuliert, in welcher das Studierendenwerk Essen-Duisburg, kurz EDU, in sämtlichen Ihrer Mensen zwei Tage pro Woche einführt, in denen ausschließlich vegane Gerichte angeboten werden. Die Beschreibung des besagten Beitrags wurde dahingehend verfasst, dass sie mehrere Faktoren enthält, welche bei Menschen mit erhöhtem Fleischkonsum zusätzliche Reaktanz hervorrufen sollen. Dazu zählen ein hoher Grad an expliziter Sprache, bewusst konnotierte Verben und Adjektive sowie die besonders provokant formulierte Kampagne „go vegan or go home!“, welche eine gewisse Abneigung des Studierendenwerks gegenüber Fleischessenden offenbart und damit jenen Personen vermittelt, dass sie in den Räumlichkeiten des EDU nicht weiter willkommen sind.

Ergebnisse

Versuchsperson C beschreibt sich als Person, die Fleisch nicht bloß als Proteinlieferanten, sondern auch als Genussmittel ansieht und dabei sogar unterstreicht, dass er Fleisch regelrecht „liebt“ (vgl. Transkript 3, Z. 62-63). Bei solch einer starken Konnotation zum Fleischkonsum lag anfangs die Erwartung vor, dass der Interviewte zweifellos einen hohen Grad an Reaktanz äußern würde.

Unmittelbar nach dem Lesen der Beschreibung des Beitrags äußerte der Interviewte „so ein paar Sachen hören sich ja eigentlich ganz gut an.“ (Transkript 3, Z. 110) Er hatte damit keine geradewegs negative Einstellung, sondern hat sich recht schnell auf jene Gerichte, wie den Flammkuchen oder die Pizza mit Spinat fokussiert (Transkript 3, Z. 114-116), deren Verzehr er sich durchaus vorstellen könnte. Es zeigte sich im weiteren Verlauf, dass der Interviewte sich kompromissbereit präsentiert und aussagt, dass er zwar ungern auf Fleisch verzichten würde, es jedoch an zwei Tagen die Woche problemlos tun könnte (vgl. Transkript 3, Z. 130-135). Dies ist zum Beispiel dadurch gekennzeichnet, dass er zwar in einem direkten Vergleich zwischen einem Stück Fleisch und einem Stück veganen Tofu das Fleisch zu jeder Zeit bevorzugen würde (vgl. Transkript 3, Z. 73-75), er einen temporären Verzicht auf Fleisch jedoch unter zwingenden Umständen problemlos durchstehen könnte (vgl. Transkript 3, Z. 80-82).

Auch bei der konkreten Frage, ob er sich vorstellen könnte, selbst die Mensa an einem der besagten Tage zu besuchen, reagiert er positiv (vgl. Transkript 3, Z. 213). Auch wenn fünf Tage für ihn nur schwierig infrage kommen würden, fühlt er sich nicht dazu gezwungen, die Mensa als einzige Nahrungsquelle zu verwenden. Er unterstreicht, dass bis zu drei Tage vegane Ernährung pro Woche für ihn absolut realistisch wären, betont jedoch auch, dass er sich bei fünf veganen Tagen gelegentlich auch eine Alternative suchen würde (vgl. Transkript 3, Z. 199-207).

Selbst als die Formulierung der Beschreibung thematisiert wurde, welche durch ihre Sprache und Wortwahl konkret darauf ausgerichtet war, bei Menschen mit hohem Fleischkonsum Reaktanz auszulösen, hat der Befragte sich sehr verständnisvoll gezeigt. Vor allem die besagte Kampagne „go vegan or go home“ hat er zwar als recht hart aufgefasst, jedoch beim Studierendenwerk auf keine böswillige Intention spekuliert und dementsprechend geäußert, dass es ihn nicht stören würde (vgl. Transkript 3, Z. 141-148).

 

Fazit

Auch wenn in der vorgestellten Forschung keine nennenswerte Reaktanz festgestellt werden konnte, ist es wichtig zu unterstreichen, dass im Zuge dieser Ausarbeitung nur eine sehr kleine Anzahl von Personen interviewt wurde, von welcher bloß eine regelmäßig Fleisch konsumiert. Eine generell größere Menge an befragten Personen, welche auch mehr Carnivoren einschließt, wäre definitiv interessant für zukünftige Forschung. Rückblickend wäre es auch möglich, dass die verwendeten Stimuli zu soft waren und dies ausschlaggebend dafür ist, dass so wenig Reaktanz geäußert wurde. Weiterhin wäre eine Erforschung im Kontext der Massenkommunikation, vor allem auf Social Media, mit einem stärkeren Blick auf den jeweiligen Vorurteilen zwischen den verschiedenen Ernährungsweisen definitiv von Interesse.

Was sind deine Gedanken zu dem Thema? Empfindest du die Beschreibung des Instagram-Beitrags als provokant genug oder fasst du die Stimuli eher als zu soft auf, um tatsächlich Reaktanz auszulösen? Und was sind deine Gedanken zu Vorurteilen gegenüber anderen Ernährungsweisen: existiert so etwas überhaupt, hast du vielleicht sogar selbst welche und wenn ja, denkst du, dass diese Vorurteile ein Hindernis für einen erfolgreichen Ernährungsdiskurs darstellen?

 

Literaturverzeichnis

Dillard, James Price / Shen, Lijiang (2005): On the Nature of Reactance and Its Role in Persuasive Health Communication, in: Communication Monographs, Bd. 72, Nr. 3, S. 144-168.

Godemann, Jasmin / Bartelmeß, Tina (2021): Ernährungskommunikation: Interdisziplinäre Perspektiven – Theorien – Methoden, 1. Aufl., Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Grünewald, Jennifer / Trittelvitz, Anja (2020): Ernährung und Identität, Stuttgart: ibidem-Verlag.

Raab, Gerhard et al. (2016): Marktpsychologie: Grundlagen und Anwendung, 4. Aufl., Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Dieser Beitrag ist auch im Blog nachgeforscht. Der Blog für Kommunikation & Interaktion abrufbar.