Federflug in Düsseldorf - Love and Federboas on Tour

Mit seiner Tour “Love on Tour” tritt Harry Styles am 27.06. und 28.06.2023 in der ausverkauften Merkur-Spielarena in Düsseldorf vor einem Publikum von etwa 54.600 Menschen auf. Styles Auftritt beginnt um 21:03 Uhr. Seine Vorband “Wet Leg” unterhält die Menge bereits ab 19:46 Uhr.

von Florentine Reibke

11. September 2024

Journalistische und auftragsorientierte Texte

Fynn M., Julia B., Zoe R., Katharina H. und Isabel M. (von links) vor dem Haupteingang der Merkur-Spielarena.

Schon am Hauptbahnhof von Düsseldorf fällt eins auf: Ein normaler Tag ist heute nicht. Je näher man sich der U-Bahn-Linie U78 nähert, desto mehr schrille Farben fallen in das Blickfeld. Ausnahmsweise kommen im Minutentakt Bahnen, um die sekündlich steigende Anzahl an Fans zur Merkur-Spielarena zu transportieren. Während der 20 Minuten langen Fahrt strömen von jeder der 14 Zwischenhaltestellen neue Fahrgäste herein. Ebenfalls in bunter Kleidung. Bei der Ankunft an der Haltstelle “MERKUR SPIEL-ARENA/Messe Nord” betritt man dann eine eigene Welt. Nicht nur vereinzelte Personen fallen mit ihrer Kleidung auf, sondern eine Menschenmenge aus Federn, Liebe und Freude ist vorzufinden. Fans laufen in Richtung des Einlasses, drängen sich dabei durch die überfüllten Treppenaufgänge und stellen sich an den meterlangen Schlangen an, um sich bereits Stunden vor Konzertbeginn einen der begehrten Plätze ganz vorne im Stehplatzbereich zu sichern und somit möglichst nah an ihr Idol heranzukommen.

Gefüllte Treppenaufgänge auf dem Weg von der Bahnhaltestelle zur Merkur Spielarena.

Aber wer ist dieses Idol überhaupt?

Harry Styles wird am 1. Februar 1994 in Redditch, einer Stadt südlich von Birmingham in England geboren. Dort jobbt er in einer Bäckerei, bis der 16-Jährige 2010 bei der britischen Castingshow “The X Factor” teilnimmt. Styles wird Mitglied der beliebten Boyband “One Direction”, die außer ihm aus vier weiteren jungen Männern besteht: Niall Horan, Liam Payne, Louis Tomlinson und Zayn Malik. Im Jahr 2015 trennt sich die Band. Die Veröffentlichung des Songs “Sign of the Times” gemeinsam mit seinem ersten Album im Jahr 2017 wird zu dem Startpunkt seiner Solo-Karriere. Insgesamt bringt Harry bis dato drei Alben raus. 2019 “Fine Line” und 2022 “Harry´s House”. Auf seiner Welttournee spielt der Brite in der Zeit vom 04. September 2021 bis zum 22. Juli 2023 insgesamt 169 Konzerte. Ticketpreise reichen von 70 bis hin zu 400 Euro pro Ticket – je nachdem, wie nah man Harry kommen möchte. Über den Zeitraum seiner Tournee hat sich Styles vor allem optisch verändert. Anfangs trägt er eher gedeckte Farben und nur teilweise Anzüge mit besonderen Schnitten. Heute hat er keine Angst mehr vor lauten Farben und auffälligen “Styles” und kleidet sich, ohne dabei auf Geschlechterkategorien zu achten. Dafür wird er von seinen Fans gefeiert. Am ersten Abend in Düsseldorf trägt Harry eine silberne Hose mit einem engen, hellgrünen T-Shirt, auf dem eine Rakete abgebildet ist.

Harry Styles in Nacht eins mit seiner Gitarre auf der Bühne

In Nacht zwei kommt der 29-Jährige mit einem Fake Faux Kurzmantel in grün, orange, weiß und schwarz auf die Bühne. Nach dem ersten Song legt er diesen ab und performt den restlichen Abend über in einem Pailletten-Top, das auf seine lila Hose abgestimmt ist. Auch Konzertbesucher kleiden sich extravagant. Sie tragen Federboas, pink, bestickte Westen und Hosen, Glitzer, Froschhüte, Blumenketten und Cowboystiefel. Auf dem Boden bildet sich ein Teppich aus roten, orangenen, gelben, grünen, blauen, lila, pinken und weißen Federn. Meterlange Schlangen finden sich nicht nur vor dem Einlass, sondern auch vor den drei Merchandise Ständen direkt vor dem Haupteingang der Arena. Fans stehen an, um T-Shirts, Hoodies, Jutebeutel sowie Socken oder Poster, auf denen ihr Idol abgebildet ist, zu ergattern. Dass die Preise dabei von 25 bis 80 Euro reichen, scheint dabei nebensächlich zu sein.

Lange Schlangen am Merchandise-Stand vor der Arena.

Zwei weibliche Fans kaufen für insgesamt 450 Euro ein: vier T-Shirts, zwei Jutebeutel, zwei Kulturbeutel und zwei Hoodies. Um den Ansturm bewältigen zu können, sind pro Stand minimal sechs Mitarbeitende vorzufinden.

Anschauungsweise eines altangesessenen Fans

Sophie Weber (26) bezeichnet sich selbst nicht als “Harrie” (Bezeichnung für die Extremfans von Harry Styles). Sie selbst ist seit 2011 “Directionerin”, verfolgt Styles also seit er, durch “The X Factor” Teil der Boyband “One Direction” wurde. Die neu etablierten “Harries” empfindet sie als toxisch und übergriffig. Um sich selbst die besten Plätze zu sichern, haben diese ein Nummernsystem eingeführt, mit dem sie eigenständig Nummern vergeben, die festlegen, welchen Platz in der Warteschlange sie und andere für sich beanspruchen können. Halten sich andere Fans nicht an ihre Regeln, kann es zu verbalen und auch physischen Auseinandersetzungen kommen. Sophie empfindet die Konzert-Atmosphäre dennoch als “Safe Space”. Sie selbst ist zwei Stunden vor dem offiziellen Einlass um 17 Uhr, also viereinhalb Stunden vor Konzertbeginn vor Ort. Zeit steckt auch in Webers Outfit. “Ich habe ungefähr vor drei Monaten angefangen, intensiv zu planen. Ich trage ein weißes Kleid und einen rosa Cardigan mit Erdbeeren darauf. Dazu kommen weiße Socken mit rosa Blumen und lila Plateau Crocs mit verschiedenen Jibbitz (auch von Harry). Um es abzurunden eine kleine rosane Herztasche mit Perlen-Gurt, Herzohrringe und verschiedenen Schmuck”. Sophie hat sich bereits am Tag vor dem ersten Konzert in Düsseldorf Merchandise Artikel gekauft. Ein T-Shirt und einen Hoodie. Darüber sagt die 26-Jährige: “Die Preise sind übertrieben. Aber ich zahle sie trotzdem. Letztes Jahr habe ich aber, aufgrund der Preise keinen Merch gekauft”. Trotz ihrer Begeisterung merkt Weber an: “Wie gesagt, ich bin seit über 12 Jahren Fan und verbinde meine gesamte Jugend mit Harry und “One Direction”. Mir gefällt seine Musik und ich finde ihn inspirierend. Ich muss aber auch sagen, dass ich mich nicht (mehr) mit ihm identifizieren kann. Er ist nun mal ein Weltstar und sehr unnahbar. Früher zu “One Direction”-Zeiten war das anders. Dazu kommt auch, dass er ein berühmter, reicher Mann ist, sodass ich mich als normale Frau kaum mit ihm vergleichen oder identifizieren kann”.

Perspektive eines Fan Club-Mitglieds

Annika Lambrecht (19) hilft dabei, das Fanprojekt für den ersten Konzertabend in Düsseldorf zu organisieren.

Anika Lambrecht und Sophie Neumann (von links) während sie vor Konzertbeginn die letzten Tütchen für das Fan-Projekt verteilen.

Dafür muss sie 30 Tütchen mit kleinen Papierstücken aus Pergament in den Farben des Regenbogens verteilen. Werbung für das Projekt wird unter anderem über private TikTok Accounts der Organisierenden gemacht. Unter dem geteilten Video mit den ersten Informationen ist ein Link vorzufinden, der in die WhatsApp Gruppe “Fan Project Volunteers N1” einlädt. In der Beschreibung befindet sich ein Dokument mit 170 beschrifteten Zeilen. Jede Zeile steht für einen Block, der mit Schnipseln ausgestattet werden muss. Für jeden dieser Blocks können sich Freiwillige eintragen. Die Gruppe hat insgesamt 81 Mitglieder. Lambrecht sagt zwei Stunden vor Konzertbeginn: “Wir halten den Kontakt zu denjenigen, die sich in der Gruppe bereiterklärt haben, einen Block zu übernehmen und für die fehlenden Blocks suchen wir jetzt noch spontan Leute”. Auch die 19-Jährige hat sich Merch angeschafft. “Ich finde die Preise sehr teuer, aber es ist auch ein internationaler Star. Für die Toten Hosen würde ich jetzt nicht so viel Geld ausgeben. Es ist halt Merch von Harry Styles”. Auch nach dem Konzert steht die Gruppe nicht still. Mitglieder teilen verschiedene Perspektiven auf Styles und das Fanprojekt in Videoform miteinander. Genauso tauschen sich die “Harries” über ihre Konzerterfahrungen und Gefühle wie die “Post Concert Depression” und die Vorfreude über noch folgende Konzerte aus. Manche von ihnen gehen so weit, dass sie sich spontan Konzertkarten für Harrys letztes Konzert in Italien am 22. Juli Karten kaufen, obwohl Hotels weitestgehend ausgebucht sind. Hauptsache Harry Styles; der Rest wird sich schon noch ergeben.

Sichtweise einer Fan-Mutter

Claudia Schuster (55) hat ihre 17 Jahre alte Tochter und einen Freund bis zum Einlass der Merkur-Spielarena gebracht. Über ihre Tochter sagt sie, dass sie jeden Tag Musik von Harry Styles hört und auch viele Videos auf Social Media konsumiert. Schuster selbst lässt sich gerne von der Vorliebe ihrer Tochter für Styles mitreißen und genießt es, gemeinsam mit ihr, seine Lieder zu hören.

Steffen G. und seine Tochter Paulina mit pinken Federboas im Partnerlook.

Dass sich die 17-Jährige Merchandise Artikel kaufen möchte, sieht Claudia ambivalent. “Es sind Erinnerungsstücke, von denen man lange etwas hat, aber die Preise sind ziemlich hoch, wenn man überlegt, dass die Eintrittspreise schon sehr teuer sind. Meine Tochter hat für ihre Karte 134 Euro bezahlt”. Trotz jener Preise äußert sich die Fan-Mutter bejahend über die Fan-Liebe ihrer Tochter. “Ich empfinde den Kult als positiv und finde gerade nach den vielen Jahren, in denen Jugendliche durch Corona auf vieles verzichten mussten, ist es jetzt wie eine Initialzündung. Alle, die hier sind können mal richtig viel Spaß haben und ausleben, was ihnen lange genommen wurde. Sie haben ihren Star, Harry Styles vorne und haben auch untereinander eine gewisse Verbindung, die man schon an der Kleidung erkennt”. Schuster bewertet die Outfits der Fans als farbenfroh und ihre Einstellung als aufgeschlossen: “Jeder kann so kommen wie er möchte. Der Freund, mit dem meine Tochter zum Konzert geht, ist homosexuell. Er findet Harry Styles sehr toll, weil er sich gegen Männer Stereotypen stellt und sich feminin und bunt kleidet und Nagellack trägt. Gerade deswegen fungiert er als Vorbild für die LGBTQIA+ Community”. Die Tochter der 55-Jährigen setzt sich seit vier Monaten mit ihrem Outfit auseinander. Sie trägt eine pinke Satinhose, ein rosa Federtop, einen Pailletten-Blazer, lila Schuhe und eine Kette mit Kirschen, die als Anspielung auf Harrys Song “Cherry” zu verstehen ist.

Eine soziologische Perspektive

Jule B. (20) studiert Soziologie und ist Styles Fan: “Bei Konzerten geht es viel um ein Gemeinschaftsgefühl. Alle Fans konzentrieren sich auf die gleiche Sache – den Star. Sie kennen die Texte und interagieren mit dem Sänger”. Besonders Harry Styles ist für seine Fan-Interaktion bekannt. In Konzertnacht eins beginnt er im ersten Drittel der Show, die mitgebrachten Schilder der Fans vorzulesen. Ein Ritual, das denen, die seine Tournee verfolgen, bekannt ist. Styles liest ein Schild mit der Aufschrift: “Mein Freund hat mich an meinem Geburtstag betrogen.” vor. Nachdem er dem zugehörigen Mädchen mehrere Frage über seinen Namen und Wohnort gestellt hat, ruft er den gesamten Saal dazu auf, eine passende Nachricht an ihn zu übermitteln. Er zählt von drei herunter und hält dem Saal das Mikrofon entgegen. Alle rufen ohne Absprache “Fuck you, Simon”. Doch das Gemeinschaftsgefühl der Fans besteht nicht nur im Stadion. Über Social Media-Kanäle wie TikTok werden weltweit Videos von Harry Styles Konzerten geteilt, die mehrere Millionen Views erhalten. Es etablieren sich von Konzert zu Konzert bestimmte Rituale, die Fans auf folgenden Konzerten immer wieder übernehmen. Der Radio-Hit “As it was” hat auf YouTube 574 Millionen Aufrufe und hat für Anhängende eine besondere Bedeutung. Die Bridge führt zu der Passage “Leave America” (Dt.: “Verlasse Amerika”). Fans schreien diese Zeile lautstark mit. Styles soll damit signalisiert werden, dass er die USA verlassen und sich in einem anderen Land, möglichst dem eigenen, niederlassen soll. Es sollte nicht wenig überraschend sein, dass amerikanische Fans den Ausschnitt dieses Liedes gekonnt ignorieren.

Auch bei dem Song “Grapejuice” ist ein Fan-Ritual entstanden. Der zweite Satz des Textes lautet: “I was on my way to buy some flowers for you” (Dt.: “Ich war auf dem Weg, dir Blumen zu kaufen”). Während Harry diese Zeile singt, fordert er die Fans der vorderen Reihen per Geste auf, Blumen auf die Bühne zu werfen. Fraglich ist dabei, ob jener Trend mit der Zeit toxisch geworden ist. Am ersten Konzertabend wird Styles von einem Strauß Blumen am Kopf getroffen. In Nacht zwei macht er keine Geste, sondern setzt sich auf den Boden und hält seine Hände schützend über seinen Kopf. In der “Fan Project Volunteers” WhatsApp Gruppe wird später diskutiert, ob dies ein Zeichen seinerseits war, den Trend zu stoppen. Einige Fans sind sich jedoch sicher, dass Styles sehr wohl bewusst ist, dass der Trend ohne eine Stellungnahme oder eine Auslassung des Songs weiterhin auf jedem seiner Konzerte fortläuft.

Den Styles-Anhängenden ist mit ihren Projekten und Trends eine Eigendynamik zuzuschreiben. Toxisch wird es dann, wenn Fan-Liebe zu Besessenheit wird und reguläre Fans ihren selbst erfundenen Vorschriften unterlegen sind. Nicht nur Harry Styles Konzerte, sondern auch Auftritte von Stars wie Taylor Swift und Coldplay haben sich verändert. Von gut gefüllten  Konzerthallen geht der Trend zu überfüllten Stadien über, bei denen mittlerweile auch Plätze hinter der Bühne vergeben werden. Durch die Fan-Präsenz auf sozialen Medien sind zudem genaue Abläufe der Konzerte bekannt. Das bedeutet, dass Styles vorgetäuschtes Ende des Konzertes bei Fans nicht auf Glaubwürdigkeit trifft, da jedem klar ist: ohne den Song “Kiwi” verlässt niemand das Stadion. Probleme entstehen auch beim Ticket Sale. Fans bekommen Codes per E-Mail zugesendet, die ihre Chancen auf Tickets erhöhen sollen. In der virtuellen Warteschlange auf Platz 300.000 bleiben die Siegeschancen jedoch gering. Oft werden Tickets zu einem späteren Zeitpunkt auf Portalen wie Kleinanzeigen zu deutlich höheren Preisen angeboten. Fraglich bleibt also, wie lange ein solch extremer Fan-Kult und Ansturm auf Tickets gutgehen kann. Harry Styles Fans machen vieles mit: hohe Ticketpreise, lange Wartezeiten, teuren Merch. Aber wie weit geht Fan-Liebe wirklich? Könnte Styles seine Authentizität irgendwann verlieren?

Sarah J., Hannah P. und Viviane M. mit abgestimmten Herz-Brillen hinter einem der drei Merchandise-Stände vor der Arena.

Emilia Ley, Emma Hoppe, Franziska May, Anna Stamm (von links) vor der  MerkurSpielarena.

Merchandise-Stand vor der Arena mit starkem Andrang.