Vom Streben nach Reinheit und Einfachheit: der Mythos Detox

Überfluss und ständige Erreichbarkeit prägen unseren Alltag, und immer größer wird der Wunsch nach Entlastung und einer Rückkehr zu einem „natürlichen“ Zustand.  Genau hier setzt der Mythos Detox an. Saftkuren, neben Detox-Tees ein zentraler Bestandteil dieser Bewegung, versprechen Reinigung, Energie und eine neue Balance. 

von Anna Jakob, Leonie Jakob und Pia Rilinger

04. Dezember 2025

Kommunikation in Institutionen und Organisationen

Drei Flaschen mit grünen Fruchtsäften, umgeben von Früchten.

Aber was genau steckt hinter diesen Versprechen, warum wirken sie so verlockend, und welche Mechanismen stehen dahinter? Saftkuren gehören zur Mythologie des modernen Reinigens. Bei einer Saftkur wird für einen bestimmten Zeitraum auf feste Nahrung verzichtet und stattdessen ausschließlich Säfte konsumiert, die eine reinigende und entschlackende Wirkung haben sollen. Sie sind das Herzstück des Detox-Trends und versprechen nicht nur körperliche Reinigung, sondern auch ein Gefühl von Kontrolle, Erneuerung und neu gefundener Energie. Sie suggerieren, Überfluss, Unausgewogenheit und Unreinheit durch gezielte Reduktion und eine

damit einhergehende „Reinigung“ auszugleichen. Dadurch wird die Saftkur zu mehr als einer Ernährungsmaßnahme – sie entwickelt sich zu einem Symbol von Disziplin, Gesundheit und sogar moralischer Überlegenheit.

Die Magie der Farben: Je grüner, desto gesünder? 

Schon die Begrifflichkeit „Detox“ offenbart die Kraft dieses Mythos. „Detoxen“ bedeutet laut Werbung, den Körper von schädlichen Stoffen – den ominösen „Toxinen“ – zu befreien. Ein Versprechen, das einerseits wissenschaftlich ungenau, aber dafür emotional wirksam ist. Denn während die Existenz dieser „Toxine“ kaum belegt ist, spricht die Idee eines belasteten und verunreinigten, danach jedoch von jeglichen Giftstoffen befreiten Körpers tiefsitzende Ängste und Wünsche an. Ein solcher Wunsch nach innerer Reinigung wird in der Werbung durch visuelle und sprachliche Mittel aufgegriffen, die den Mythos greifbar machen und eine möglichst breite Masse ansprechen. 

Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Farbe der Säfte. Kräftiges Grün, leuchtendes Orange oder intensives Rot – jede Farbe erzählt eine eigene Geschichte und trägt eine ausschlaggebende Symbolik. Der grüne Saft, oft aus Spinat, Sellerie und Gurke, steht für „Natur“, „Frische“ und „Reinheit“. Er wird nicht nur als gesund, sondern auch als moralisch überlegen dargestellt, ein Symbol also für den bewussten, disziplinierten Lebensstil. Das Orange des Karottensafts suggeriert Energie und Vitalität, während rote Säfte, beispielsweise aus Roter Bete, für Kraft und Blutreinigung stehen. Die Farben werden so zu Symbolen, die den Konsum emotional aufladen und den Mythos Detox visuell erfahrbar machen. 

Die Saftkur als moderner Exorzismus 

Darüber hinaus ist die Darstellung der Saftkur als Ritual des Verzichts zu betrachten.  Der Verzicht auf feste Nahrung wird in der Werbung nicht als Einschränkung, sondern als Befreiung inszeniert. Die Reduktion auf Säfte wird mit Schlagworten wie „minimalistisch“ oder „natürlich“ unterstrichen, während selbst die Verpackung der Produkte diesen Ansatz widerspiegelt. Kaltgepresste Säfte, meist in schlichten Glas- oder Plastikflaschen mit minimalistischen Etiketten, strahlen eine Einfachheit aus, die im Kontrast zur komplexen

Herstellung steht. Der Konsum dieser Säfte wird zum Symbol einer bewussten Entscheidung, die dem Konsumenten Kontrolle über den eigenen Körper und das eigene Wohlbefinden zurückgibt. Die Einfachheit der Verpackung verspricht zudem eine unkomplizierte Anwendung und integriert sich so in den schnelllebigen Alltag. 

Die Wichtigkeit der Alltagstauglichkeit spiegelt sich in der Popularität der 7-Tage Saftkur“ wider. Diese Variante wird in der Wellness-Industrie als die perfekte Kombination aus Effektivität und Alltagstauglichkeit vermarktet. In Berichten erfolgreicher Kurteilnehmer*innen liest man Aussagen wie „Ich fühle mich leichter“ oder „Mein Körper fühlt sich gereinigt an“. Diese Geschichten werden oft von Influencer*innen verbreitet, deren strahlendes Aussehen den Erfolg des Produkts scheinbar bestätigt. Dass die beschriebenen Effekte – wie Müdigkeit oder Schwindel – tatsächlich auf einen Kalorienmangel und nicht auf eine „Entgiftung“ zurückzuführen sind, wird dabei verschwiegen oder ignoriert. 

Grünes Getränk im Glas mit grünem Obst und Gemüse.

Aber woher kommt der anhaltende Erfolg und der feste Glaube an diesen Mythos?  Detox-Saftkuren sprechen eine tief verwurzelte Sehnsucht nach Einfachheit in einer überkomplexen Welt an. Sie bieten nicht nur ein vermeintliches Heilmittel für die Belastungen und „Verschmutzungen“ des modernen Lebens, sondern auch eine Möglichkeit, den eigenen Körper als rein und kontrolliert zu erleben. Gleichzeitig greifen sie auf archaische Bilder zurück, die in unserer Kultur tief verankert sind. So erinnert die Vorstellung des „Entgiftens“ beispielsweise an traditionelle Reinigungsrituale, oft verbunden mit religiöser oder spiritueller Läuterung. Die Saftkur wird so zum modernen Exorzismus, der die Sünden des Überflusses – wie ungesundes Essen oder mangelnde Bewegung – aus dem Körper vertreiben soll und am besten jegliche Schuldgefühle gleich mit.  

Es zeigt sich, dass der Mythos Detox weit über den Bereich der Ernährung hinausgeht.  Er ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, die nach Reinheit und Einfachheit strebt, jedoch 

von Überfluss und Komplexität regiert wird. Saftkuren bedienen nicht nur die individuellen Wünsche nach Gesundheit, sondern auch kulturelle Vorstellungen von Reinheit, Disziplin und Kontrolle. Sie sind ein modernes Ritual, das gleichermaßen Versprechen und Illusion ist – und genau darin liegt ihre mythische Kraft.

 

Bildquellen:

https://unsplash.com/de/fotos/3-flaschen-mit-geschnittener-zitrone-und-geschnittenen-orangenfruchten-hom5fPULf4I

https://unsplash.com/de/fotos/grune-flussigkeit-im-klaren-trinkglas-mit-strohhalm-3OV0ft7mG_o

 

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