Die echte Pizza – Ein Mythos von Authentizität

Die „echte Pizza“ ist mehr als ein Gericht – sie ist Symbol italienischer Kultur und Lebensfreude. Sie erzählt von warmen Sommerabenden, engen Gassen voller Düfte von Basilikum und Olivenöl sowie geselligen Momenten mit Familie und Freunden. Die einfachen Zutaten wie rote Tomaten, weißer Mozzarella und grünes Basilikum spiegeln nicht nur die Farben der italienischen Flagge wider, sondern auch ihre Herkunft und Tradition. Der Pizzaiuolo, Sinnbild für Handwerkskunst, kreiert am prasselnden Steinofen den knusprigen Teig mit unverwechselbarem Aroma. Pizza ist mehr als Genuss: Ob auf einer Terrasse in Italien oder am heimischen Tisch – sie verbindet Menschen und schafft Atmosphäre. Sie steht für Lebensfreude, Geselligkeit und das Streben nach Tradition.

von Hilal Arslan, Autilia Avino, Dilara Kurt, Selina Suvari und Irem Yalin

06. November 2025

Kommunikation in Institutionen und Organisationen

 La Pizza Verace.

Vom Armeleuteessen zum Weltstar

Die Pizza, die „echte” Pizza, hat bekanntlich ihre Wurzeln in Neapel. Nur in Neapel gibt es sie, die regionalen Zutaten, die handgemachte Mozzarella, die sonnengereiften Tomaten, das aromatische Basilikum. Aber auch der Steinofen und das Birkenholz sind nativ. Sie wurde als schnelle, sättigende Mahlzeit für das Arbeitervolk erschaffen. Die Geschichte besagt, dass 1889 die Königin Margherita auf die Pizza aufmerksam wurde. Sie bittet den Pizzaiuolo Raffaele Esposito in den Palast, um ihr die Spezialität zuzubereiten. Raffaele kreiert ein köstliches Gericht innerhalb kürzester Zeit. Der Königin schmeckt es so gut, dass sie einen Brief an den Pizzaiuolo Raffaele verfasst, den man bis heute noch in der antiken Pizzeria di Brandi lesen kann. Die Geburt der Pizza Margherita ist eine Erzählung wie im Märchen, fast zu schön um wahr zu sein. Aber was wahr ist, zählt erstmal nicht. Die Geschichte der Pizza lebt auf Speisekarten, Food-Blogs und in den Köpfen der Menschen weltweit, das reicht um sie zur Legende zu machen.

Ihr Aussehen ist so ikonisch, dass man meint, sie auf den ersten Blick zu erkennen. Der dicke Rand, der dünne Boden, das Trikolore. An der Margherita misst man den gesamten Wert einer Pizzeria. Dieses Gericht verkörpert so sehr den Nationalstolz der Italiener, dass jegliche Veränderung Empörung verbreitet. Die echte Pizza ist heilig. Warum sonst gibt es Institutionen wie die Associazione della Pizza Verace Napoletana (APVN) und die Associazione die Pizzauoli Napoletani (APN)? Diese vollstrecken die Gebote der Reinheit der echten Pizza. Sie bewahren das Rezept der echten Pizza, bilden Pizzabäcker aus und bieten Seminare an, um die Tradition am Leben zu halten. Sie haben einen Verband von genehmigten Pizzerien, die global die echte Pizza servieren und sich an strenge Regeln und Standards halten müssen, um Teil des Verbandes bleiben zu können.

Die geringe Zahl an Zutaten macht sie so wertvoll. Man kann keine davon ersetzen, ohne das fragile Gleichgewicht der Geschmäcker zu kippen. Das wird so ernst genommen, dass es technische Parameter gibt, die Anbieter erfüllen müssen, um gebilligt zu werden.

Parameter für das Mehl.

Die echte Pizza hat also nicht nur Gastronomen, sondern auch Wissenschaftler, die sie verteidigen und sogar ihre Echtheit messen können. Die echte Pizza ist also in der ganzen Welt vertreten, wir könnten sie alle probieren. Eine königliche Mahlzeit, etwas Exklusives, der Geschmack von Italien außerhalb von Italien. Sie hat einen weiten Weg gemacht, von dem Armeleuteessen als welches sie geboren wurde.

Die falsche Pizza   

Tiefkühlpizza Hawaii.

Doch was bleibt von der „echten“ Pizza, wenn sie die Welt erobert? Die Antwort ist so vielfältig wie die Pizza-Kreationen selbst: die Pizza Hawaii, erfunden vom griechischen Einwanderer Sam Panopoulos in Kanada, oder die amerikanische Chicago-Style Deep-Dish Pizza haben das traditionelle Rezept radikal verändert.

Mit süß-salzigen Kombinationen oder dicken, auflaufähnlichen Teigen spalten sie die Meinungen, erfreuen sich jedoch weltweiter Beliebtheit. Auch Zutaten und Zubereitungsmethoden haben sich gewandelt. Mozzarella wird oft durch Gouda oder Cheddar ersetzt, besonders bei Tiefkühlpizzen, die seit den 1950er Jahren ein globaler Erfolg sind. Holzöfen, die das charakteristische Aroma der neapolitanischen Pizza erzeugen, wurden vielerorts von praktischen Elektroöfen abgelöst. In Deutschland ist die Pizza auch mit der Küche anderer migrantischer Einflüsse verschmolzen. Aus griechischen Imbissen ist die Pizza kaum wegzudenken, hier wird sie mit Gyrosfleisch und Schafskäse zubereitet. Oder denken wir an die Umbenennung des Lahmacuns in „türkische Pizza“, welche mit einer Hackfleisch-Paprika Masse belegt wird.

Die „echte“ Pizza, die italienische Identität verkörpert, verbindet Kulinarik mit nationalem Stolz. Sie wird als reines, unverfälschtes Kulturgut dargestellt, das Tradition und Handwerk zelebriert. Eine perfekte Marketingstrategie. Denn in Werbungen und in Imbissen zugleich, wird die Pizza, ob tiefgekühlt oder mit Gouda überbacken, auch oft noch mit diesen Werten vermarktet. Denn der Geschmack von Italien, die Authentizität, ist das, was verkauft werden soll.

Die Vermarktung der „echten“ Pizza funktioniert, sie wird mit Preisen von 16 bis 20 Euro zu einem exklusiven Luxusgut, während günstigere Varianten für 5 bis 10 Euro abgewertet und als minderwertig angesehen werden. Doch diese Abwertung betrifft nicht nur die Pizzen selbst, sondern auch die kulturelle Vielfalt und Kreativität, die in alternativen Ausdrucksformen zum Vorschein kommen. Der Mythos der „echten“ Pizza verstärkt soziale und kulturelle Ausgrenzung, indem er nicht nur andere Pizzavarianten marginalisiert, sondern auch die Menschen, die diese konsumieren. Diese kulinarische Abgrenzung bedient ein Bedürfnis der Zugehörigkeit und Identität, quasi einem richtig oder falsch. Es fördert aber nur ein Bild einer Elite, die ein Gericht abkapseln will, dessen Ursprung in Zugänglichkeit und Miteinander beruht. Die scheinbare Authentizität stellt sich als eine geschickte Marketingstrategie heraus, die die Tradition idealisiert, um einen ökonomischen Vorteil zu generieren. So demonstriert die „echte“ Pizza, wie Mythen Identität formen, Grenzen ziehen und Vielfalt unterdrücken können.

Bildquellen:

https://www.pizzanapoletana.org/en/corsi_avanzati/22-advanced_cooking_technique_of_neapolitan_pizza

https://www.pizzanapoletana.org/en/albo_fornitori

https://www.supermarkt24h.de/DrOetker-Ristorante-Hawaii-355g

 

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